Die Steuerklärung muss gemacht werden, die Präsentation fertiggestellt oder die Mails beantwortet werden – und du kommst einfach nicht in die Gänge? Stattdessen entschiedest du dich dazu, noch ein Video zu schauen, Social Media zu checken oder doch erstmal Kaffee zu holen. Kennst du das? Mir geht es häufig so. Eines Tages saß ich vor dem Computer musste einen längeren Text schreiben und kam einfach nicht ins Tun. Ich spürte in meinen Körper und nahm nur Anspannung und Starre war. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen – ich bin in einer Erstarrungsreaktion gefangen.
Was meine ich damit? In unserem Nervensystem sind verschiedene Reaktionen angelegt, wenn wir Bedrohung und Gefahr begegnen. Diese Reaktionen werden autonom eingeleitet. Die Kampf- und Flucht-Reaktion kennst du sicher. Erkennt der Körper, dass er die potenzielle Gefahr nicht abwehren und entfliehen kann, tritt die Erstarrungsreaktion ein. Die zuvor mobilisierte Ladung/Energie wird eingefroren und der Körper versteift sich – wir erstarren. In einer tatsächlichen Bedrohungssituation werden so die wichtigen Organe geschützt und die Überlebenschancen erhöhen sich. Der Kollaps ist eine weitere Überlebensmöglichkeit, dabei verlieren wir unsere Vitalität. Anstatt, dass der Körper all seine Kraft aufwendet, um sich anzuspannen, gibt er die Kraft auf, um weicher und leblos zu werden. In beiden Fällen verlieren wir den Antrieb zum Handeln.
Aber warum reagiert unser Körper auf eine Steuererklärung, als wäre es eine lebensbedrohliche Gefahr? Warum katapultiert es mich schon beim bevorstehenden Bügeln in die Erstarrung? Um das zu verstehen, mag ich dir die Erkenntnisse aus einem Webinar mit meinem Lehrer Luis Mojica teilen. Es wird spannend!
„Kapazität“ ist die physische Fähigkeit unseres Körpers Stresshormone zu verstoffwechseln. Unsere Leber, unsere Zellen, unser Nervensystem verarbeiten die Ladung und den Stress, den jede einzelne Erfahrung mit sich bringt. Wenn unsere Kapazität gerade gering ist z.B. aufgrund von wenig Schlaf, Ernährung oder chronischem Stress – und die Stresshormone ansteigen, gibt es einen Punkt an dem der Körper, dies nicht mehr halten kann. Überwältigung breitet sich aus und wir gehen in einen „Shut Down“.
Das Gefühl von Überwältigung ruft die gleichen biochemischen Prozesse im Körper hervor wie Gefahr und Bedrohung. Adrenalin wird ausgeschüttet, Blutdruck und Herzrate steigen und die Anspannung ist hoch. Der Körper und das Nervensystem werten diesen Zustand als Gefahr und Bedrohung und schaltet die Überlebensreaktionen ein. Das hat zur Folge, dass Teile unseres Systems erstarren. Dazu sagt man „Functional Freeze“ also funktionelle Erstarrung. Wir können noch Essen zubereiten, zur Arbeit gehen, Funktionieren – dennoch sind Teile unseres Systems in der Erstarrung gefangen. Das führt häufig dazu, dass wir z.B. auf Dauer wenig Energie, Antrieb und Motivation spüren. Denn die Erstarrungsreaktion ist unheimlich anstrengend und Kräfte zerrend.
Jemand, dessen Körper in Erstarrung lebt, nutzt Stimulanzien, um den Shut-Down zu überwinden. Dazu gehören z.B. Koffein, Süßigkeiten, Niktoin oder Extrem-Sportarten. Auch das Aufschieben und Warten bis zur letzten Minute kann so viel Druck und Erregung erzeugen, dass wir für einen Moment aus der Erstarrung kommen – meistens jedoch danach wieder zurückfallen.
Was können wir stattdessen Tun?
Ich mag dich zu einem Perspektivwechsel einladen: Wie wäre es zu sagen, dass Aufschieben und Prokrastinieren nicht Teil deiner Identität sind. Du bist nicht faul, selbstsabotierend oder prokrastinierend. Vielmehr ist es eine Botschaft deines Köpers und deines Nervensystems, dass sie gerade überwältigt sind.
Mach mal eine Pause und – spüre wie sich das anfühlt? Du bist nicht faul und prokrastinierend, Teile in dir sind überordert und erstarrt.
Wenn du dich selbst als Prokrastinierer*in siehst, wird es zu deiner Identität und es ist schwierig davon loszukommen. Stattdessen mag ich dich einladen, dass das, was du als Aufschieben wahrnimmst, als eine Erstarrungs-Reaktion zu sehen. Es ist ein Signal - eine Nachricht deines Körpers, der sagt: „Ich bin gerade überfordert und habe nicht ausreichend Kapazität.“
Aus dieser Haltung heraus bleibt ein Teil in dir selbstwirksam – nämlich der, der das beobachten kann. Von dort aus kann die folgende somatische Übung hilfreich sein, um aus der Erstarrung rauszukommen:
Spüre die Anspannung (Erstarrung) oder Leblosigkeit/Taubheit (Kollaps) in Teilen deines Körpers
Lege eine Hand auf die erstarrte Stelle und sprich wohlwollend zu ihr als wäre es ein Freund oder ein Kind: „Du bist gerade wirklich überfordert und hast nicht die Kapazität, das zu tun“
Nimm wahr, ob es ankommt und was geschieht. Vielleicht zeigen sich Emotionen, Bewegungen, Spannung löst sich oder ein tiefer Atemzug geschieht. Lass Zuwendung geschehen, so wie es stimmig ist.
Dann kannst du mit der Frage da sein: Was braucht diese Stelle jetzt – was könnte ihr gut tun? Lass es geschehen!
Die einzelnen Schritte kannst du auch mit mir gemeinsam im untenstehenden Video praktizieren.
Mit dieser Übung kann deine Kapazität wieder steigen. Du bewegst dich mehr und mehr aus der Erstarrungsreaktion raus hin zu mehr Lebendigkeit. Dabei handelst du nicht gegen deinen Körper, betäubst ihn nicht oder zu versuchst ihn zu puschen. Vielmehr geschieht dadurch eine echte Zuwendung, aus der sich Regulation entfalten kann und neue Verbundenheit entsteht.
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